Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen
und Asylbewerbern in Schleswig-Holstein
Einige Gemeinden bringen die Flüchtlinge immer noch in Stahlcontainern unter. Diese werden häufig lieblos in langer Reihe zu Batterien zusammengeschraubt und dann randständig oder gar weit ab, hinter einem Knick verborgen, auf einer Freifläche platziert, wo sie offenbar dem allgemeinen Anblick vollkommen entzogen sein sollen. Das Gelände drum herum ist oft ungepflegt. Bei Regen stehen diese Container im Schlamm, und Ratten leben im Dreck unter den Containern. Hier wohnen nicht nur Erwachsene, sondern nicht selten auch Familien mit Kindern. Es gibt dann weder einen Gemeinschaftsraum noch einen separaten Spielraum für die Kinder. Diese Art der Unterbringung erinnert mich an "Käfighaltung".
Grundsätzlich ist die Unterbringung von Menschen in Stahlcontainern nicht zu befürworten. Die Räume erinnern an Zellen. Sie sind schlecht isoliert, oft feucht und bei Belegung mit bis zu vier Personen zu eng. Wenn dann noch eine Möblierung aus alten Kasernenbeständen hinzukommt, ist das Wohnen in einer solchen Behausung menschenunwürdig und deshalb rundweg abzulehnen.
Die Gemeinden entschuldigen diesen Zustand entweder mit dem Hinweis auf die schlechte Haushaltslage. "Für Besseres hat das Geld nicht gereicht!", oder aber mit der Begründung, es gäbe keine andere Möglichkeit, im Gemeindegebiet eine andere Unterkunft bereitstellen zu können.
Eine solche Entschuldigung kann ich nicht gelten lassen, weil andere Gemeinden mit derselben Summe Geldes wesentlich angemessenere Unterkünfte erstellt haben.
B.
In einigen Kommunen werden die Flüchtlinge an Orten untergebracht, die als so genannte Asozialengettos verrufen sind. Es handelt sich ursprünglich um Schlichtwohnungen für Obdachlose. Wer hier wohnt, ist allein schon durch die Adresse diskriminiert und stigmatisiert. Im Volksmund haben diese Orte nicht selten entsprechende Namen wie "Kleinmoskau", "Kleinistanbul" und ähnliche stigmatisierende und verächtliche Bezeichnungen. Wenn Flüchtlinge aus einem solchen Quartier kommen, sind sie eo ipso abgestempelt. Deshalb dürfen Flüchtlinge an derartig diskriminierenden Orten nicht untergebracht werden. Flüchtlinge dürfen nicht wie Obdachlose behandelt werden.
C.
Isolierte abseitige Lage der Unterkünfte
Es gibt anerkannte Gemeinschaftsunterkünfte sowie dezentrale Einzelunterkünfte, die sich in einer äußerst isolierten Lage, abgeschnitten von sozialen Kontakten und billigen Einkaufsmöglichkeiten, befinden und zudem noch ohne Anbindung an den ÖPNV. Zwar gibt es manchmal einen Schulbus, der von den Bewohnern mitbenutzt werden kann; doch während der Schulferien müssen etliche Kilometer bis zum nächsten Ort bei Wind und Wetter zu Fuß und mit Gepäck zurückgelegt werden. So wunderte es mich nicht, dass die Flüchtlinge diese Unterkünfte verlassen und bei Freunden und Verwandten unterkommen. In einem Falle wohnte dauerhaft nur noch eine einzige Person in einer Gemeinschaftsunterkunft für über dreißig Personen. Sie erscheinen dann nur noch gelegentlich, um ihre Post und die sozialen Leistungen abzuholen. Wer will es ihnen verdenken?
D.
Betreuungspersonal
Sobald es sich um eine anerkannte Gemeinschaftsunterkunft handelt, sind die Betreuerinnen und Betreuer geschultes und kompetentes Fachpersonal.
Jedoch bei nicht betreuten Gemeinschaftsunterkünften haben sich gravierende Mängel gezeigt. Die Kommune oder der mit der Asylbewerberbetreuung beauftragte Träger beauftragt dann jemanden, der eine Art Hausmeisterdienst verrichten soll. Dabei handelt es sich um Reparaturen der Einrichtungsgegenstände und um die Wartung der technischen Gerätschaften. Diese "Hausmeister" sind meistens nur stundenweise in der Unterkunft. In einigen Fällen mussten wir starke Spannungen im menschlichen Verhältnis zwischen Bewohnern und Hausmeister feststellen. Wir hatten den Eindruck, dass einige "Hausmeister" vollkommen unvorbereitet die neue Tätigkeit übernehmen mussten. Sie hatten offensichtlich keinerlei Wissen über die besonderen Probleme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Stammtischvorurteile kommen hier leicht zum Tragen. Wir haben viele diskriminierende wie auch rassistische Äußerungen aus dem Munde von Hausmeistern gehört (Arbeitsscheue, Drogendealer, dumme Neger, Kriminelle, etc.). Es geht mir nicht um Verurteilung der Hausmeister. Wer aber mit Asylbewerbern und Flüchtlingen in den Asylunterkünften arbeitet, muss auf diese Tätigkeit vorbereitet werden. Wo solches geschehen ist, hat es gute Ergebnisse gegeben, und das menschliche Klima ist gut.
E.
Zusammenfassung
Zusätzlich zu der Besichtigung der Asylunterkünfte in Schleswig-Holstein habe ich Informationen über die Wohnsituation aus anderen Bundesländern zum Vergleich hinzugezogen.
Die Unterbringung von Menschen für die Zeit ihres Asylverfahrens und teilweise auch für die Zeit danach, erfordert die verantwortungsvolle Zusammenarbeit sämtlicher mit der Unterbringung betrauter Personen und Organisationen. Dabei sollte das Wohlbefinden der jeweiligen Flüchtlinge im Vordergrund stehen. Den aufzunehmenden Asylbewerberinnen und Asylbewerbern soll auch durch die Unterbringung eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Deutschland ermöglicht werden. Alle äußeren Umstände müssen so angelegt werden, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.
Die nachfolgend aufgeführten Standards, die ich ausdrücklich als Mindestanforderungen empfehle, sollten sowohl für die anerkannten Gemeinschaftsunterkünfte wie auch für dezentrale Unterkünfte gelten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Standards für Gemeinschafts- und Gruppenräume auch auf die dezentralen Unterkünfte Anwendung finden sollten, die nicht als Gemeinschaftsunterkünfte anerkannt sind, jedoch den Charakter einer Gemeinschaftsunterkunft haben, bzw. bei denen mehr als drei Wohneinheiten in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang stehen.
Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Schleswig-Holstein
1. Raumbedarf / Anzahl der Personen
a.
10 qm bei Einzelpersonen, d.h. Personen, die allein in einer Wohneinheit wohnen.
b.
8 qm je Person, die in einer gemeinsamen Wohneinheit leben, jedoch keinen Familienverband bilden. Die vorgenannten Zahlen betreffen die reine Wohnfläche pro Person ausschließlich der Verkehrsfläche.
c.
Bei Familien sollen die unter b) genannten Quadratmeterzahlen als reine Wohnfläche für jeden Erwachsenen gelten; für Kinder bis zu sechs Jahren einschließlich sind weitere 6 qm je Kind anzurechnen.
d.
Es sollen nicht mehr als vier Personen, so sie keinen Familienverband bilden, in einer gemeinsamen Wohneinheit leben; es sei denn eine Erhöhung der Zahl wird von allen Beteiligten gewünscht.
2. Mindestausstattung der Räumlichkeiten
Pro Person sind mindestens bereitzustellen:
3. Nassräume/Sanitäreinrichtungen pro Wohneinheit
Die vorgenannten Sanitäreinrichtungen sollen höchstens 5 Personen dienen. Falls die Nassräume sich nicht im selben Gebäudekomplex/derselben Etage befinden, sollen diese nicht weiter als 50 m von den jeweiligen Wohneinrichtungen entfernt sein, sowie durch überdachte Wege erreichbar sein.
4. Küche
5. Gemeinschaftsräume (gilt für Gemeinschaftsunterkünfte sowie dezentrale Unterbringung mit Gemeinschaftsunterkunftcharakter)
Die Gemeinschaftsräume sollen variabel und in ausreichender Größe sein (mindestens 2 qm pro Bewohner).
7. Funktionsräume/Unterstellplätze
10. Betreuung
Die Betreuer und Betreuerinnen müssen ausreichend qualifiziert sein.
Unabhängig davon, dass die vorgenannten Mindeststandards keine rechtliche Verbindlichkeit für die Kreise und kreisfreien Städte sowie die jeweiligen Träger der Asylbewerberbetreuung haben, sollten diese im Sinne einer menschenwürdigen Unterbringung von Flüchtlingen berücksichtigt werden, wobei es sich um Mindeststandards handelt. Hierüber hinausgehende Unterbringungs- und Qualitätsmerkmale werden von mir ausdrücklich begrüßt.
Kiel, 1. Juni 2003 Helmut Frenz
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